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Emil Baumann

Vom grossen Wandel in Hendschiken

Emil Baumann (*1922) erzählt aus seinem Leben

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Emil Baumann als Steinhauer, Sommer 1939


Meine Generation hat in ihren 80 Jahren einen ganz grossen Wandel miterlebt, technisch hat sich sehr vieles verändert.

64 Kinder im gleichen Schulzimmer

Zu meiner Schulzeit hatten wir einen ziemlich „langen“ Schulweg (lacht). Das ergab sich so, denn wir waren doch recht viele Kinder auf der rechten Seite der Bünz. Es hätte sogar in unserem Quartier eine eigene Schule geben können; al-lein schon in der „Kantine“  gab es eine grosse Zahl Kinder, und auch in der Liegenschaft Senn Fritz  und Senn Hans, Monteur.   Bei jeder Familie waren es 8 bis 10 Kinder. Ich ging einigermassen gerne zu Schule. An die Lehrer mag ich mich erinnern. In der Unterschule hatten wir eine Lehrerin, die Frau Arbenz. Wir waren zeitweise 64 Kinder in ihrem Schulzimmer, 64 Kinder, alle aus Hendschiken! Aber die ist mit uns allen zurecht gekommen. Sie verbrauchte aber auch manchen Stecken im Laufe der Zeit. Ich habe ihn, wie alle andern auch, ein paar Mal zu spüren bekommen.
 

Schulreisen und andere Bahnfahrten

Zum Bahnfahren gab es das alte Geleise Brugg-Wohlen und die Linie Aarau-Lenzburg-Wohlen - Rotkreuz. Ausflüge mit dem Zug gab es dann und wann, auch Schulreisen. Ich erinnere mich an eine Schulreise ins Zürcher Oberland, auf dem Bachtel. Einmal waren wir im Tessin, auch im Jura waren wir einmal, aber es waren immer eintägige Schulreisen. Diese waren zum Teil noch recht anstrengend mit den langen Fussmärschen.
Skilager gab es zu unserer Zeit auch noch keine. Die Hendschiker „Skihänge“ waren Richtung Meiengrüen und am Steig .

Nach der 5. Klasse kam ich in die Oberschule, da hatten wir einen Lehrer, Herrn Hänni, dessen Vater noch Pfarrer in Lenzburg gewesen war. Die Familie Hänni war eine recht prominente Familie in Lenzburg, vertreten in der Regierung und in der Wirtschaft. Der Sohn gab Schule bei uns; zwischendurch war er auch weg, deswegen hatten wir in der 6. Klasse eine Aushilfe, dann kam er wieder zurück. Er hat uns dann auch aus der 8. Klasse entlassen.


30er-Jahre – Krisenjahre auch in Hendschiken


Dann kamen die Krisenjahre. Das ganze Gebiet bin ich abgefahren, suchte nach Arbeit. Nichts, nichts, nichts. – Da habe ich ein halbes Jahr bei meinem Onkel nebenan in der Landwirtschaft mitgeholfen. In dieser Zeit war auch die Bünz-korrektion. Auch mein Vater hatte zu jener Zeit keine Arbeit; er hatte zuvor in der BBC gearbeitet; auch er konnte an der Bünzkorrektion mitarbeiten. Aber wer weiss wie! Es hatte einen einzigen grossen Bagger, der grub die grossen Massen aus; daneben standen kleine Rollwagen, die mit dem Aushub gefüllt wurden, gezogen von einer kleinen Benzin-Lokomotive. Eine eigentliche Be-rufskleidung oder gar Stiefel gab es nicht. Der Vater kam jeweils voller Dreck nach Hause. Nach der Korrektion kam die Melioration, d.h. die Entwässerung und Trockenlegung des Bodens, damit er für die Landwirtschaft genutzt werden konnte. Denn zuvor war ja alles Sumpf und Moor gewesen. Die Bünz hatte zu-vor ja nicht ein einziges Bett, sie lief in allen möglichen Bögen durch die Land-schaft. Da konnte ich auch mithelfen, die Gräben einzudecken. Pro Meter gab es 5 Batzen. Das war in den Jahren 1937 und 1938.


Lehrjahre als Steinhauer

1938 konnte ich dann in den Fischer-Steinbruch als Handlanger. Im Januar 1938 konnte ich beginnen. Das war „en huere Chrampf“ (lacht). Dass ich das durch-gestanden habe, ist grad alles. Ich hatte mich als Lehrling beworben. Es gab da-mals einen Steinhauer, der war Österreicher. Der nahm zuerst seinen Sohn als Lehrling, und ich war wieder auf die Seite geschoben.  1939 ging dann der Krieg los, und dieser Österreicher, der war ein richtiger Hitler-Anhänger gewesen. Der war komplett Hitler-verrückt! Gewohnt hatte er am Ende der Schwaresterstras-se; da hatte eine alte „Chrätze“, ein altes Haus gestanden, dessen Dach bis fast an den Boden reichte. Diese Österreicher zogen dann mit ihren vier Buben weg; von dieser Familie habe ich nie mehr etwas gehört.

So konnte ich im April 1939 meine Lehre beginnen. Als Steinhauer. Damals wa-ren einige Leute im Steinbruch beschäftigt. Nach dem Krieg, als es mit der Wirtschaft wieder aufwärts ging, waren wir 24 gelernte Steinhauer, daneben ar-beiteten noch einige als Handlanger, Fräser und Bohrer; so waren wir insgesamt über 50 Arbeiter.
 

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Emil Baumann bei der Arbeit im Steinbruch Fischer, Sommer 1939


In der Berufsschule waren wir nur stundenweise. Ich musste nach Wohlen in die Berufsschule, die damals noch Handwerkerschule hiess. Da fuhr ich mit dem Velo hin, aber nicht mit einem modernen Velo; mein erstes Velo war ein altes Damenfahrrad, das mir eine Tante geschenkt hatte, die Schwester meines Vaters. In Wohlen wurden auch die Maurer, Gipser und Wagner ausgebildet; ich war weit und breit der einzige Steinhauer. So machte ich meine Lehre bis im April 1942.

 

Kriegsjahre 1939 – 1945: Dienstpflicht in der Ortswehr

Militärdienstpflichtig war ich nicht. Aber ich war in der Ortswehr eingeteilt, die ja während der Kriegszeit eingeführt worden war. So eine Art Vorläufer des heutigen Zivilschutzes. Wir hatten auch Gewehre, denn wir gehörten auch zum Schutz der Einwohner unseres Landes. Während des Krieges durfte es nachts draussen ja kein Licht haben, es mussten nachts die Fenster mit dunklem Papier abgedeckt werden, das mussten wir auf Patrouillengängen kontrollieren. Grössere Probleme gab es in unserer Ortswehr keine. Von Zeit zu Zeit hatten die Hendschiker, Othmarsinger, Dottiker und Hägglinger zusammen Wiederholungskurse, in denen; in diesen Ortswehren waren alle organisiert, die zwar keinen Militärdienst leisten konnten, aber trotzdem ihren Einsatz für das Land leisten wollten. Zum Teil wurden wir auch aufgeboten, auf den Bauernhöfen zu helfen, denn viele Landwirte waren ja im Aktivdienst. Verdient hat man dabei natürlich nichts, ausser dass es etwas zu essen gab. Es gab auch keinen richtigen Sold, vielleicht 5 Batzen im Tag bei den Wiederholungskursen, aber sonst gab es nichts. Unsere Vorgesetzten waren der ehemalige Käser, ein Krähenbühl (Kommando), und ein Häusler Fritz, der auch Gemeinderat war,  und ein Meier (ehemaliger Förster). Als Ortswehr hatten wir nicht eine eigentliche Uniform, aber einen Kittel und eine Mütze, und eben das Gewehr, ein Langgewehr. Munition hingegen trugen wir nicht auf uns; geschossen wurde nur im Schiessverein.

Während der Kriegszeit war immer eine gewisse Spannung in der Bevölkerung. Wir waren ja relativ nahe an der Grenze. Wir haben uns oft gefragt: Was kommt? Deswegen waren wir alle etwas zurückhaltend. Dann natürlich die ganze Sache mit der Rationierung. Die Lebensmittel und andere wichtige Dinge wie Kleider und Schuhe oder Velopneus waren rationiert, man konnte solche Sachen nur mit Marken kaufen, ohne Marken bekam man nichts. Bei uns waren die Einschränkungen nicht so spürbar wie bei andern, wir hatten 4 bis 5 Geissen. In Hendschiken gab es damals eine grosse Geissenzucht-Genossenschaft. Hendschiken hatte viele Ziegen damals! Die Milch von unseren Geissen konnten wir behalten; daneben hatten wir einen Pflanzplätz, sodass wir uns über Wasser halten konnten. Natürlich nicht pompös, aber wir konnten uns so durchbringen.
 

Wandel in der Landwirtschaft

Noch einmal, wir haben einen ganz grossen Wandel erlebt. Wenn ich denke, wie primitiv das Werkzeug der Bauern damals noch war! Wenn man damals gesagt hätte: Die Zeit kommt, wo man beim Kartoffeln ausmachen sitzen kann! Hätte man gesagt, wo gehörst du denn hin? (lacht).

Auf dem Stück Land oberhalb des Feldwegs hatte ein Grossbauer namens Ackermann ein Getreidefeld; dort kam die erste Maschine zum Einsatz, die „Bürdeli“ (Puppen)  machen konnte. Dieser fuhr dreispännig mit dieser Maschine. Die Maschine kam von der Fuhrhalterei Schnider in Lenzburg. Mein Onkel hatte oberhalb sein Feld mit seinem Getreide. Auch dort kam eine Mähmaschine zum Einsatz, gezogen von zwei Kühen, einer sass hinten auf dem Sitz und der andere vorne auf der kleinen Werkzeugkiste, und mit einer Tannenspitze oder etwas Ähnlichem hat dieser diese Bürdeli gemacht. Da „durfte“ ich jeweils auch noch mithelfen. Da mussten wir aber ganz rassig dran! Diese Bürdeli blieben zunächst noch offen, also noch nicht gebunden. Sie blieben liegen und während des Tages ging man noch einmal hin um sie zu wenden, damit sie austrocknen konnten. Nach dem Trocknen wurden sie zusammengebunden, immer so drei bis vier Bürdeli zusammen. Mit dem Garbenbändeli wurden diese zusammengebunden. Dann wurden diese Strohwellen aufgeladen und heimgeführt. In der Scheune wurde alles übereinander geschichtet, dort wurde es sozusagen vergoren. Im Winter wurde dies dann gedroschen, und zwar mit einer Maschine, die eine Trommel hatte. Da waren Zähne eingebaut; das Getreide wurde dort hindurchgestossen. Körner fielen unten raus. Nachdem die Körner beiseite geschafft worden waren, kam die zweite Maschine zum Einsatz. Da war ein Windflügel drin. Das Korn wurde oben eingeschüttet, der Windflügel blies dann das Leichte weg, die Kerne selber aber fielen zu Boden. Von dort wurden sie aufgelesen und in einen Sack abgefüllt. Dieser Sack wurde abends nochmals auf die „Reite“ hinauf getragen, das Korn wurde nochmals ausgeschüttet, damit es auch ja sicher ausgetrocknet war. Erst nach einer bestimmten Zeit hiess es dann „Fruchtabnahme“, dann wurde das Korn abgeliefert.

Später kamen die Bindemäher, welche das Getreide zu Bürdeli formte; mitsamt den Kernen wurde das Getreide nach Hause gebracht.
 

Auto, Telefon, Radio und Fernsehen

Die ersten Autos in Hendschiken wurden gefahren vom Horner-Wirt, vom Bären-Wirt, von Herrn Lüem und vom Papierwarenfabrikanten Byland.

Ein Telefon hatte niemand in unserer Umgebung. Die Familie Roth hatte einen solchen Apparat. Herr Roth war damals auch Gemeindeammann. Wenn es einmal etwas zu telefonieren gab, musste man zuerst kurbeln und seinen Namen bekannt geben, dann wurde man weitergeleitet. Auch auf der Post gab es einen Telefonapparat. Vielleicht auch im Konsum, also im Volg.

Wer zum Arzt musste, ging nach Dottikon oder nach Lenzburg oder Wohlen. Der Dottiker Dr. Ludwig war ein Allrounder, bei dem konnte man auch die Zähne ziehen lassen. Da konnte man nicht so heikel sein. Kinder wurden meistens daheim geboren; es gab eine Hebamme in Hendschiken, die Frau Zobrist. Die konnte man holen, wenn es soweit war. Mitten in der Nacht holte ich sie!

Mein Vater hat 1929 unser Haus gebaut. Einen Radio hatten wir nicht während der Kriegszeit. Den ersten hatte unser Nachbar. Dieser Nachbar hatte auch drei oder vier Kinder; er arbeitete in der Bally-Schuhfabrik (Dottikon). Man nannte ihn den „Senne-Göpfi“. Er hat immer Pfeife geraucht. Er war „en gmüetliche Cheib“. Der hatte den ersten Radio in unserer Gegend. Es war an einem Samstag Nachmittag, als er den Apparat bekam, ein ziemlich grosses Möbel. Wir Kinder lagen in der Stube am Boden, als der Radio in Betrieb genommen wurde. Es war die Übertragung eines Kirchengeläutes. Wie haben wir gestaunt: „Woher kommt denn dieses Geläute?“ So eine Erinnerung bleibt einem natürlich! – Den ersten eigenen Radio hatten wir, als ich bereits aus der Lehre war, nach dem Krieg.

Den ersten Fernseher hatten wir etwa 1970. Mein Sohn Herbert kaufte ihn mit mir zusammen.


Waschen und Baden

Die Wäsche wurde früher von Hand gewaschen. Als wir 1929 unser Haus bauten, gab es im Keller eine Waschküche, mit einem Waschhafen und zwei Waschtrögen. In einer Ecke stand eine alte Badewanne. Dort unten wurde gewaschen, und dort wurden wir auch gebadet. Während des Krieges war dort Militär einquartiert; in unserer Waschküche haben die gekocht. Manchmal konnten wir Kinder dort Reste abholen. Im Tenn hatte das Militär 4 Pferde eingestellt, die Soldaten schliefen auf dem Heustöckli.

1946 wurde ein anderes WC eingebaut. Vorher gab es einen direkten Abgang in eine Grube. Fliessendes Wasser (kalt) gab es gerade einmal in der Küche. Gefeuert und geheizt wurde mit Holz. Geheizt wurde in der Stube; man konnte die eine und andere Türe offen lassen, um die Wärme in ein anderes Zimmer zu lenken.

Gebadet haben wir als Kinder im Sommer in der Bünz, etwas oberhalb der heutigen Kläranlage. „Umziehkabinen“ waren die Büsche am Bünzbord. Selbstverständlich waren Mädchen und Knaben streng getrennt voneinander; die beiden Badeplätze lagen ziemlich auseinander.

Am Sonntagmorgen wurden immer die Pferde der beiden Fuhrhalter Zobrist und Ackermann zur „Schwetti“ an die Bünz geführt. Das war immer ein Ereignis, wie das zu und her ging und wie das spritzte. Dieser Schwettiplatz befand sich ungefähr dort, wo jetzt die Kläranlage steht. Aber eben, genau lässt sich das nicht bestimmen, denn die Bünz floss ja frei durchs Tal, in der Breite bis zum heutigen Veloweg.


Der tragisch-komische Flugzeugbauer von Hendschiken

Noch während meiner Schulzeit kam der Zeppelin auf. Er flog auch über unsere Gegend. Wir sprangen aus dem Schulhaus und jauchzten. Das war etwas ganz Besonderes für uns. Es gab einen bei uns im Dorf, der war „angehaucht“ vom Segelflug. Man nannte ihn den „Kiburzli“. In Lenzburg gab es ja eine der ersten Segelfluggruppen, wo die „besseren Herren“ ihrem Hobby frönen konnten. Dieser Hendschiker war ein „Chnübli“, von Beruf eigentlich Velomechaniker. Er wohnte am heutigen Ballyweg. Der hat selber ein Flugzeug gebaut: zwei Flügel und unten der Sitz, das Höhen- und Tiefensteuer hinten. Wenn er ihn jeweils ausprobieren wollte [lacht laut], war es unser Sonntagsvergnügen. Er kam auf den Rebhügel. Dort gab es eine Mulde im Terrain, und oben einen Widhag. Das Gefährt wurde hinten am Schwanz mit einem Seil an einem Stock angebunden. Vorne war auf beiden Seiten je ein Gummiseil angebracht. Wir mussten mit dem Gummiseil den Hang hinunterrennen und streckten so das Gummiseil. Wenn er dann den hinteren Teil hätte ausklinken sollen, brachte er dies einfach nicht zu Stande. Wir haben ihn nie in der Luft gesehen! Der konnte das einfach nicht, aber uns immer wieder bordabwärts schicken und zu ziehen, das konnte er. Er zog dann nach Dintikon und spielte dort die gleiche Komödie. Als er dann einmal im „Bären“ Dintikon stark gehänselt worden war, ging er heim und zündete sein „Flugzeug“ an.


Einkaufen im Dorf

Eingekauft wurde bei Frau Lüem, im Konsum, wo das Meiste offen verkauft wurde, d.h.,  es wurde aus Säcken geschöpft und abgewogen. Es gab auch noch einen Laden, in welchem Salz und Petrol für die Lampen am gleichen Ort aufbewahrt wurde. Dieser Laden, „s’Hanse Lädeli“, stand hinter dem Hotel Bären, da wo sich heute die Ernst Müller AG befindet. Ein weiterer Laden war „Harris Lädeli“; originell war hier, dass der Verkauf – vor allem für die Kinder - aus der Stube heraus durch das Fenster stattfand. Dieser Laden wurde dann von Siegfried und Hedi Eichenberger weitergeführt. Das Schaufenster in der Liegenschaft Eichenberger (Autogarage) zeugt noch von dieser Zeit.

Hinter dem Bären war eine grosse gedeckte Gartenwirtschaft. Der Umschwung des Bären war sehr gross, bis hin zum Schulhaus. Im Bären war gleichzeitig auch eine Bäckerei. Dort gab es Crèmeschnitten für 2 Batzen, das Kleingebäck kostete 1 Batzen. An Industrie gab es nur die Byland AG. Milch und Käse kaufte man in der Käserei. Es gab einen Schuhmacher, den Zobrist Karl als Zimmermann und Schreiner („Zimmermeischter Kari“), einen Maurer (heutige Liegenschaft Hummel), einen Sattler im Oberdorf (einige Häuser weiter oberhalb des VOLG  auf der linken Seite der Dintikerstrasse). Das Geschirr für das Vieh oder einen Hosengurt von einem Lederrest machte der Sattler Kurt Senn. Der Schuhmacher Roth arbeitete da, wo der Krebsbach in die Dintikerstrasse mündet.

Auch einen Schneider hatten wir, an der Dottikerstrasse .  Der Schneider Hofmann arbeitete dann viel für das Militär, aber auch mein Konfirmationskleid  hat er geschneidert.

An Vereinen gab es den Turnverein und den gemischten Chor sowie die Schützen. Im Turnverein war ich Mitglied; später war ich im Arbeitermännerchor in Othmarsingen. Eine Turnhalle gab es ja nicht in Hendschiken. Wir turnten im Estrich des Schulhauses. Im Sommer in der Gartenwirtschaft des Bären.  

 

Sonntag und Freizeit

Die Sonntagspredigt fand im alten Schulhaus statt; es gab nur einen Pfarrer in Lenzburg, den Pfarrer Häni, der kam jeweils mit dem Velo. Er hatte eine spezielle Art, auf das Velo zu steigen: Auf der hinteren Radachse standen zwei „Sporen“ vor; darauf stellte er sich und schwang sich von da aus über den Gepäckträger auf den Sattel.

Freizeit? Am Abend und in der Freizeit hat man sehr viel gesungen; meine Mutter und meine Geschwister, aber auch die Nachbarn.

Mein Nachbar war noch Tambour-Major; seine „Lehrlinge“ bildete er dort aus, wo heute Meier Paul wohnt. Dort wuchsen allerlei Pflanzen und Bäume;  am Sonntagmorgen gab er dort Unterricht. Er war auch Militärtambour.  Er verstarb 1939.


Brandstiftungen im Dorf

1934/35 brannte der Bifang nieder. Das gab einen grossen Schaden, auch Kühe kamen um. Damals schon vermutete man Brandstiftung. Beim Wiederaufbau, erinnere ich mich, half ich als Bub beim Ziegel reichen; man bildete dazu eine lange Menschenschlange, und jeder gab den Ziegel seinem Nächsten weiter, bis ins Dach hinauf. Als dann der Neubau fast fertig war, schichtete der Bauer das Heu in einer Triste auf, weil er es noch nicht auf die Bühne bringen konnte. Er montierte einen für damalige Verhältnisse sehr modernen Heuaufzug. Im ersten Sommer zerriss es die Seilwinde und traf ihn so unglücklich, dass er sofort tot war. Mein Onkel und mein Vater mähten Gras an jenem Tag bei der Brücke vor der Tieffurt, Richtung Dottikon. Ich war gerade auf dem Weg dorthin, um ihnen zu helfen. Als ich oben auf der alten Strasse, man nennt sie ja Bruggerstrasse, ging, hörte ich einen lauten Knall und sah Ziegel davonfliegen. Ich rannte zu den beiden hin und erzählte es ihnen. Sie rannten sofort zurück. Hendschiken musste nach dem Tode des Bauern auch einen neuen Gemeindeammann suchen, das war dann Ruedi Zobrist-Senn.

Es ging nicht lange, brannte auch dessen Scheune. Auch durch Brandstiftung. Der nächste Brand ereignete sich in der Nähe der Zimmerei Karl Zobrist ; auch hier war es wieder Brandstiftung. Dann brannte das alte Schulhaus, auch durch Brandstiftung. Ich erinnere mich, ich war damals in der Feuerwehr; ich musste helfen, das Archiv zu retten. Der Täter war auch in der Feuerwehr und sagte zu mir: „Das ist auch ein Saucheib, der so etwas macht“.Ein Polizist, der daneben stand, sagte zum (noch nicht entlarvten) Täter: „Was habt ihr denn im Dorf für einen Zeusler?“ – Der Täter gab zur Antwort: „Ja, das nimmt mich auch wunder; man hat bald keine Ruhe mehr“. Die beiden Täter erwischte man, es waren Vater und Sohn. Erwischt wurde der Sohn von Karl Zobrist („Noldi-Kari“), als dieser frühmorgens von der Schichtarbeit nach Hause kam. Der Täter war gerade daran, das Stroh beim Hühnerhaus, vis à vis der ehemaligen Post, anzuzünden . Warum sie das taten, weiss man nicht.


 
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1950; Nacht vom 5. auf den 6. August 1950, 01.50 Uhr Brand im alten
Gemeindeschulhaus; rechts das markante Türmchen; Ansicht von der Südseite
her; das Türmchen steht heute auf der Wiese an der Brunnmattstrasse.
Foto: Privatsammlung Werner Ledermann, Rebhügel

 

Eieraufleset und Jugendfest

Es gab auch viel Gefreutes: Am 2. Sonntag nach Oster war das Eierauflesen. Mitmachen durfte, wer bereits konfirmiert war; die Konfirmation war immer am Palmsonntag. Jetzt musste man als Jüngling dafür sorgen, dass man bis zum Eieraufleset seine“Eierfrau“ hatte. Am Montag nach der Auflesete fand nämlich der „Eierfrass“ statt; dabei ging es auch einmal hoch zu und her, und die Jungen kamen sich dort ein bisschen näher ...

Und dann das Jugendfest. Das gab es zunächst alle Jahre. Es fand im Baumgarten des Hotels Bären statt oder im Schulgarten. Während des Turnhallenbaus fand es im Hornergebiet draussen statt. Später dann auf dem Schulhausplatz unter den Linden. Einen Jugendfestbatzen gab es nicht, aber ein Zobig gab es, einen Tee und Wurst und Brot. Die Dekoration des Jugendfestplatzes war immer ganz besonders schön. Das ganze Dorf half mit. Bis Höhe Tanzboden und beim Eingang wurden Tannäste angehängt; besonders hübsch wirkte das im Baumgarten hinter dem Bären.


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Jugendfest 1961; links Herbert Baumann, der Sohn von Emil Baumann,. – Rechts Urs Huber.

 
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Jugendfest 1961. Berufe bei der Arbeit. links Herbert Baumann, der Sohn von Emil Baumann,.
– Rechts Urs Huber.


 
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Jugendfest Hendschiken; im Bild die Jahrgänger 1921-1924. In der Bildmitte mit dem Sennechutteli
Werner Zobrist  (Trottmeister); Emil Baumann ist der gross gewachsene Fünfte von rechts.


Arme und Fahrende im Hendschiker „Spittel“

Das Haus der Familie Huber an der Eichhofstrasse nannte man früher „Spittel“. Das habe ich von meinem Vater gehört, der auch an der Eichhofstrasse aufgewachsen war . Das „Spittel“ war sozusagen das Armenhaus von Hendschiken. Dort waren Minderbemittelte zu Hause. Im Winter öfters auch Fahrende, die dort mit Ross und Plachen-Wagen Quartier bezogen. Im Frühling zogen sie dann jeweils wieder weiter. Der Vater erzählte mir weiter, dass einmal eine Zigeuner-frau ein Kind bekommen hatte; im Spittel gab es kein fliessendes Wasser. Da sei diese Frau mit dem Neugeborenen zu ihnen gekommen, hätte das Kind am kalten Wasser aus dem Sodbrunnen gewaschen und sei wieder gegangen. In dieser Liegenschaft meines Grossvaters war auch eine Schlosserei; ich mag mich noch gut an die Einrichtung der Boutique, also der Werkstatt meines Grossvaters erinnern, mit dem Feuer und der Esse in der Ecke, dem Amboss. Deswegen nannte man diesen Zweig der Familie Baumann „Schlossers“. Mein Grossvater, sagt man, sei einer der Ersten gewesen, der Blitzableiter montiert habe.


aufgezeichnet im November 2009 von Josef Brogli


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