5604.ch

die multimediachronik von hendschiken

Fritz Anliker

Der Schnaps war stark, der Wein sehr gut,
im Rachen spürt man eine Glut

Fritz Anliker – Der Hendschiker Poet (1926-2004)

Nach einer kurzen Einleitung (A)  bieten wir Ihnen einige Kostproben aus den Texten (B) von Fritz Anliker, dem Hendschiker Dorfpoeten. – Bearbeitung: Josef Brogli

A Einleitung

Im Januar 2000 gab Fritz Anliker eine Broschüre heraus mit dem Titel „Das Dörflein Hendschiken und Umgebung“. Auf 120 Seiten finden sich viele seiner Gedichte; diese entstanden zu bestimmten Anlässen wie Hochzeiten, zum Abschied einer Serviertochter oder auch Naturereignissen wie dem Hochwasser von 1999. 

Anliker macht sich in seinem Werk Gedanken über das Leben; er formuliert etwa ein „Merkblatt für Verheiratete und solche, die es noch vor sich haben“. Sein Hobby Kaninchenzucht bot weiteren Anlass für seine Texte wie dem „Chüngeler-Pure-Song“. Selbst einen Kaffeeautomaten liess er zu Wort kommen: „Ein Kafi-Automat an seine Benützer“.

Die meisten Gedichte sind Vierzeiler mit einem einfachen Reimschema. Vom Rhythmus her wirken sie wie Lieder; das mag mit dem Umstand zusammen hängen, dass Anliker seine Texte gelegentlich im „Jägerstübli“ zum Besten gab. Sein Tonfall ist einmal verhalten-nachdenklich, dann wieder heiter-lebenslustig.

Einige Gedichte setzen Insider-Wissen voraus, damit sich einem der Zusammenhang erschliesst, so bei den beiden Nachrufen auf Walter Strub („Struppi“) oder Walter Zobrist („Noldi Walti“).

Er verstand sich vielmehr als Chronist, welcher bei vielen Gelegenheiten Beobachtungen anstellte, sich Gedanken dazu machte und das Ganze in einer besonderen Form zu Papier brachte. Viele seiner Texte beschliesst Anliker „erlauscht von F.A.“. Er folgte offenbar dem Prinzip „dem Volk aufs Maul zu schauen“, welches für viele Schriftsteller den Schlüssel zum Erfolg darstellte.

Er verdient Respekt für sein Bemühen, einen Beitrag zur Dorf-Kommunikation zu leisten. Er hat gezeigt, dass auch am Stammtisch eines Dorfrestaurants Kultur entstehen kann. Kultur für die ganz gewöhnlichen Menschen in ihrem Alltag; Fritz Anliker hat manch einem von ihnen in seinen Texten zu einem Auftritt verholfen, der sonst in keiner Dorfchronik auftaucht. Deswegen darf Anliker in unserer Dokumentation auf keinen Fall fehlen.

/_SYS_gallery/DasDorf/Persoenlichkeiten/FritzAnliker/Anliker006.jpg

B Textauswahl

Anspielung auf die häufigen Geschlechter-Namen, welche einem Neuzuzüger die Orientierung schwer machen


Als ich kam in diesen Ort,
wollte ich bald wieder fort 1.

Fragte man nach einem Namen,
mit Übernamen sie nur kamen.

Trottmeischters 2 oder Schittli-Ruedis 3,
Gugerlis 4 oder Noudi-Noudis5.

Die meisten hatten ein Tenn,
und hiessen Zobrist 6 oder Senn.

Wirtschaften gab es damals noch drei,
heute sind es nur noch zwei.

Sie hatten Samstag-Sonntag offen,
in jeder war ich mal vollbesoffen.

Im Horner war der Baumann Paul 7,
der zäumte auch noch einen Gaul.

Am runden Tisch die Margrit sass,
zu reden sie auch nie vergass.

Wo jetzt der Parkplatz waren Tannen,
die Leute noch das Tanzbein schwangen.

Ganz aus Holz die Bühne war,
man trank nicht Milch, auch das war klar.

Im Bären 8 wirten Kurt und Liesel,
Doninellis 9 Auto fuhr mit Diesel.

---

1 Anliker war 1972 ins Dorf gezogen; er bewohnte mit seiner Frau Annik und seinen zwei Söhnen die Liegenschaft Quellenstrasse 6.

2 Walter Zobrist-Geissberger, Landwirt und Fuhrunternehmer.

3 Gemeint ist Ruedi Zobrist, Schulhausabwart in Hendschiken vor Adolf Zobrist-Iff.

4 Gemeint sind die Familien Zobrist-Schneeberger und Zobrist-Hinnen und deren Nachkommen an der Dottikerstrasse.

5 Gemeint sind die Nachkommen von Arnold Zobrist (Walter, Karl, Hans und Fritz), welcher an der Quellenstrasse (Haus steht nicht mehr) gewohnt hat.

6 Im aktuellen Telefonverzeichnis (2010) sind 27 Zobrist und 7 Senn aufgeführt. Die beiden Familien sind seit Jahrhunderten Ortsbürger von Hendschiken.

7 Der Vater des aktuellen Horner-Wirts; der Horner ist ein Landgasthof, welcher lange auch eine eigene Brauerei geführt hatte.

8 Der ehemalige Gasthof zum Bären hat dem heutigen Bärenplatz den Namen gegeben. Der Bären hatte im Dorfleben eine besondere Rolle gespielt, waren doch im Dachgeschoss die Turner untergebracht, welche dort ihre Trainings durchführten. Auch Theateraufführungen fanden dort statt. Schliesslich war der Baumgarten hinter dem Bären während langer Zeit das Zentrum des Jugendfests mit Tanzbühne. – Der Bären war vom letzten Wirt bei Nacht und Nebel verlassen worden [nicht identisch mit den hier erwähnten Kurt und Liesel Fricker]; der Gasthof wurde schliesslich abgerissen und durch den Wohnblock „Bären“ ersetzt.

---

Wer ein- und ausging, auch im Finstern,
Büechi-Marie 10 sah’s am Fenster.

Am Morgen früh dann, um halb acht,
das halbe Dorf im Konsum lacht.

Denn Marie wusste aller Namen,
die zwölf Uhr aus dem Bären kamen.

Zuletzt kam man ins Jägerstübli,
dort wurde auch gekocht manch Süppli.

Die von der Küche waren besser,
die von den Mäulern scharf wie Messer.

...

9 Bekannter  Bauunternehmer aus Lenzburg

10 Marie Bryner-Büchi wohnte schräg gegenüber dem Bären; sie beobachtete das Dorfgeschehen sehr genau.

---


Zum Gedenken an Walter Zobrist alias Noldi Walti11

Er war der jüngste der fünf Brüder,
und was kannte man da drüher,

als man der Schule konnt’ entrinnen? 12
Sofort mit Arbeiten beginnen!

Ich kannte ihn, seitdem ich hier,
das sind der Jahrzehnte fast vier.

Arbeiten tat am Bahnhof er,
dort war der Walter nicht irgendwer.

Der Zug durfte bei der Fahrt nicht „gieren“,
drum tat er alle Weichen schmieren.

Auch Wartsaal putzen, das stand an,
dazwischen rauchen, irgendwann 13.

Beim Schalter dann den Boden scheuern,
mit Schwellenholz im Winter feuern.

Schneeräumen war auch angesagt,
Arbeit gab’s den ganzen Tag.

Als richtiger Noldi trat er ein,
ganz jung auch in den Turnverein.

An manchem Turnfest nahm er teil,
und kamm dann immer fröhlich heim.

...

Er war mit 65 noch so rüstig,
dass ihn nach neuer Arbeit dürstet.

Prompt wurd der „Ghüder-General“, 14
und macht auch dieses maximal.

...

Es kam auch vor, dass man noch hockte 15,
wenn zu Haus’ die Suppe kochte.

Nussgipfel packt er einen ein,
und bringt ihn seiner Rosa heim. 16

---

11 Walter Zobrist-Meier [1925-1999] alias Noldi Walti.

12 Anliker spielt auf den Umstand an, dass eine Berufslehre in der Jugendzeit von Walter Zobrist ein Privileg war; oft hiess es damals nach Schulabschluss: In die Fabrik arbeiten gehen!

13 Der Bahnhhof Hendschiken war bis anfangs der 1990er-Jahre noch bedient; man konnte dort die Billette lösen oder auch Geld wechseln; Noldi Walti war für Reinigungs- und Unterhaltsarbeiten zuständig. Für die Bahnbenutzer war er eine angenehme und freundliche Auskunftsperson; oft hatte er bei der Arbeit eine Zigarette im Mundwinkel.

14 Während einigen Jahren nach der Pensionierung stand Walter Zobrist jeweils am Mittwoch auf dem Abfuhrwagen und warf die Kehrichtsäcke ein.

15 Gemeint im Zusammenhang am Stammtisch im Jägerstübli

16 Rosa, seine Frau



...


Wir alle auf der Liste stehn,

denn einmal muss ein jeder gehen.

Der Walter hat die Ruh’ gefunden,
ein Original dafür verschwunden.


...

Für einen Freund zur Pensionierung

Nun nimm Dir Zeit mit Deinen Tieren,
im Winter sollst Du nicht mehr frieren.

Derweil Dir Bertha Kafi macht,
(nicht Crème, das wäre doch gelacht!),

schaust Du im Blick die Seite drei 17,
Gedanken sind ja schliesslich frei.

---
17 Eine Anspielung auf die Boulevardzeitung „Blick“, welche auf Seite 3 immer eine nur leicht bekleidete junge Frau abbildete
...

Zur Abdankung von Walter Strub („Struppi“)

Der Walter hat uns nun verlassen,
wir können es noch gar nicht fassen.

Es ist sehr schwierig, ihn zu schildern,
machen sollte man’s mit Bildern.

...

Er kam nach Haus zu späten Stunden,
und hat den Bock 18 nicht mehr gefunden.

Sperrangel war das Türchen offen,
der Bock hatte sich im Stroh verschloffen.

...

Sein Töffli 19 war mal Freund, mal Feind,
uns klagte nachher er sein Leid:

„Weiss genau, das Tor war offen,
und hat mich doch am Kopf getroffen.“

...

Und so vergingen schnell die Jahre,
er hatte ja schon weisse Haare.

Seit Hedi 20 starb, war er allein,
der Russenhof21, der ging auch ein.

Dann ab und zu die Schwester kam,
die Wäsche mit nach Hause nahm.

Sie sprach ihm zu, nicht zu vergessen,
einmal am Tag doch warm zu essen.

Nun, Struppi, bist bei Hedi Du,
wir prosten Dir noch manchmal zu.


18 Walter Strub war auch Kaninchenzüchter. Walter Strub war mit seiner Frau Ende der 1980er-Jahre ins Dorf gezogen. Seine äusseren Merkmale waren das zerfurchte, sonnengebräunte Gesicht und die kleine Körpergrösse. Sein Stolz war sein Töffli, welches auch auf dem Weg zum Stammtisch zum Einsatz kam; seine Fahrweise war bei der Rückkehr manchmal nicht mehr so sicher. – Das Ehepaar Strub lebte ein einfaches und rechtschaffenes Leben.

19 Walter Strub war mit seiner Frau Ende der 1980er-Jahre ins Dorf gezogen. Seine äusseren Merkmale waren das zerfurchte, sonnengebräunte Gesicht und die eher kleine Körpergrösse. Sein Stolz war sein Töffli, welches auch auf dem Weg zum Stammtisch zum Einsatz kam; seine Fahrweise war bei der Rückkehr manchmal nicht mehr so sicher.

20 Seine Frau

21 Ein uraltes Bauernhaus, unterteilt in 4 Wohneinheiten, mit spartanischer Einrichtung; Walter Strub bewohnte eine davon. Das Haus wurde Ende der 1990er-Jahre abgerissen. Heute steht ein Mehrfamilienhaus auf diesem Grundstück. Die Herkunft und Bedeutung der Bezeichnung „Russenhof“ sind unbekannt.

©2009 | gemeinde hendschiken | www.5604.ch | info@5604.ch