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100 Jahre SP Hendschiken: Die Anfänge

Etwas Geschichte ....
Das genaue Datum der Gründung der SP Hendschiken kennen wir nicht, doch sind uns Kassenbücher aus der zweiten Hälfte des Jahres 1908 überliefert.
Somit fallen die ersten Spuren zur SP-Geschichte in eine Zeit, die geprägt war von einem bedeutenden wirtschaftlichen Strukturwandel. Auf der einen Seite stieg die Zahl der Arbeiter dank einem um 1900 im Aargau einsetzenden Industrialisierungsschub stetig an, während sich die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten deutlich verringerte. Die Mechanisierung der Textilindustrie und der Landwirtschaft setzte zahlreiche Arbeitskräfte frei, welche die neuen Industrien (z. B. Tabakindustrie im Wynen- und Seetal, metallverarbeitende Industrie im Limmat- und Reusstal und dezentral die Schuhindustrie mit Filialen der Firma Bally) bald schon dringend benötigten.
Die eidgenössische Volkszählung von 1900 verzeichnete denn auch zum ersten Mal für den Aargau mehr Arbeiter (44%) als Bauern (39%).

Um ihre unterschiedlichen Interessen wahrzunehmen, organisierten sich Arbeiterschaft und Bauern in eigenen Vereinen und politischen Interessengruppen.
Der Grütliverein, in welchem sich vor allem Handwerksgesellen und mit der Zeit auch immer mehr Arbeiter zu geselligen und politischen Anlässen trafen, war ein wichtiger Vorläufer der organisierten Sozialdemokraten und wurde 1838 in Genf gegründet. Ein erster Aargauer Verein entstand 1848 und in der Folgezeit bildeten sich im ganzen Kanton über zwanzig weitere Sektionen des „patriotisch-demokratischen Arbeiterbildungsvereins“.
Am 21. Oktober 1888 wurde dann in Bern die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) gegründet und im Jahre 1893 stellte sich der Schweizer Grütliverein in aller Form hinter das Programm der SPS und ging 1901 faktisch in ihr auf.
1902 beschloss auch der Aargauische Grütliverein der SP Schweiz beizutreten, und in dieses Jahr fällt dann auch die Gründung der Sozialdemokratischen Partei Aargau.
Somit zählte die SP zu den ersten der grossen Parteien, welche sich im Aargau organisierte und das politische Geschehen mitbeeinflusste.

Die Anfänge der SP Hendschiken
Die Anfänge SP Hendschiken lassen ich an Hand des überlieferten Materials nur erahnen. Das „Kassabuch“ aus dem Jahre 1908 ist noch mit „Grütliverein Othmarsingen“ beschriftet und lässt die Vermutung zu, dass auch hier eine Grütlisektion der Ausgangspunkt für die spätere SP- Sektion gebildet hat.
In den Einträgen zum Jahr 1910 finden wir dann den ersten Hendschiker, den wir mit Sicherheit identifizieren können, nämlich Wilhelm Zobrist (er wird als „Präsident“ bezeichnet).

Wir können in den Einnahme-Kolonnen erkennen, dass die Mitglieder einen monatlichen Beitrag zu entrichten und dass Neumitglieder eine Eintrittszahlung zu leisten hatten.
Auf der Ausgabenseite sind hier vor allem die Abgaben an die Bezirkspartei, die Kantonal- und Zentralkasse zu erwähnen, die regelmässig getätigt worden sind. Der „Freie Aargauer“ (SP-Zeitung) wie auch der „Grütlianer“ (Organ des Grütlivereins) wurden damals schon mit einem Abonnement bezogen.

Der Wandel von der Grütli-Sektion zur SP-Sektion vollzog sich im Laufe der Jahre und lässt sich auch in den Kassenbüchern belegen. Wurde anfänglich im Inventar noch ein „Bibliothekskasten“ erwähnt und Ausgaben für Bücher und die Bibliothek getätigt (getreu dem Motto des Grütlivereins „Durch Bildung zur Freiheit“), so finden sich mit der Zeit immer mehr Ausgaben, die auf politisches Engagement hindeuten, so zum Beispiel Beiträge für Nationalratswahlen, Inserate im Bezirksanzeiger und im Freien Aargauer, das Austragen von Flugblättern, usw.
Im Inventar aus dem Jahr 1923 fehlt denn auch jegliche Erwähnung eines Bibliothekskastens.

Erste Mitglieder
Bezüglich der Mitgliederzahl oder der gesellschaftlichen Zusammensetzung gibt das Kassenbuch aus dem Jahre 1908 nur lückenhaft Auskunft. Obwohl jedes Mitglied einen monatlichen Beitrag zu leisten hatte, deuten die unterschiedlichen Zahlen bei den Monatsabrechnungen an, dass wohl der eine oder andere mit dem Bezahlen in Verzug war. So finden wir bei den Jahresabrechungen denn auch immer wieder den Hinweis: „rückständige Beiträge“!

Ab dem Jahr 1923 besitzen wir ein „Beitragskontrollbuch der Sozialdemokratischen Partei Hendschiken“. Von diesem Datum an lassen sich lückenlos alle Parteimitglieder mit Vor- und Familiennamen, Beruf und der Höhe des zu leistenden Monatsbeitrages belegen.
Für das Jahr 1923 sind 31 SP-Mitglieder aufgelistet. Selbstverständlich handelte es sich dabei nur um Männer, denn die Frauen verfügten ja noch über kein Stimmrecht und somit auch über keine politische Mitsprache.

Die berufliche Zusammensetzung der SP Hendschiken unterstreicht zum einen die Rolle der SP als Arbeiterpartei, finden sich doch nicht weniger als 12 Fabrik-, Leder- und Bahnarbeiter unter den Mitgliedern.
Zum andern lässt sich auch das ganze Spektrum der traditionellen handwerklichen Berufe ausmachen, d.h. Zimmermann, Schreiner, Schlosser, Maurer, Steinhauer, Dreher, Schmid, Küfer, Wagner, Schneider, usw. Daneben gehörten auch ein Hutglätter, ein Magaziner, ein Knecht, ein Agent und ein Packer zum Kreis der SP Hendschiken.
Die Präsenz des Gemeindeschreibers (Herr Hauri) unter den Genossen in Hendschiken mag vielleicht den einen oder andern erstaunen!

Die Beiträge, welche die Mitglieder jeden Monat zu entrichten hatten, variierten anfänglich noch stark. Während z. B. ein Steinhauer Fr. 1.50 in die Parteikasse einbezahlte, betrug der Beitrag eines Fabrikarbeiters Fr. 0.80. Arbeitslose Mitglieder (dies vor allem während der grossen Wirtschaftskrise in den 30er Jahren) wurden von der Beitragspflicht befreit ebenso wie Mitglieder, die während längerer Zeit krank waren.
Ein jedes Mitglied erhielt beim Eintritt in die Partei ein Parteibuch, in welches monatlich (nach erfolgter Beitragsbezahlung) die sog. „Männermarken“ eingeklebt werden konnten.

Im Jahre 1958, d.h. zur 50 Jahresfeier, hatte die SP Hendschiken auch „mitgliedermässig“ etwas zu feiern, denn die Sektion zählte 40 Genossen (dies ist ein nie mehr erreichter Höchststand).
Die berufliche Zusammensetzung zeigt im Unterschied zum Jahre 1923 einen deutlich höheren Anteil an Mitgliedern, welche bei den SBB angestellt waren. Daneben waren die handwerklichen Berufe weiterhin stark vertreten und Arbeiter, die in Fabriken wie z. B. Bally oder Hero ihren Lebensunterhalt verdienten.

Nach der Annahme des Frauenstimmrechts (1971) traten die ersten fünf Hendschikerinnen der SP bei. Schon bald beteiligten sich auch die SP- Frauen aktiv in der Vorstandsarbeit und kandidierten bei Wahlen in Gemeindekommissionen und Schulpflege.

Aktive Mitarbeit in Gemeinde und Kanton
In den bisherigen Ausführungen haben wir uns den Anfängen der SP von verschiedenen Blickwinkeln aus genähert, doch nun stellt sich zum Schluss auch noch die Frage, ob, wie und wo die SP Hendschiken das politische Geschehen in der Gemeinde oder auch im Kanton mitgestaltet hat.
Ich habe mich bei meinen Recherchen auf die Gemeinde- und Grossräte beschränkt, doch liessen sich natürlich in einem andern Rahmen auch alle Gemeindeämter oder gar die nationale Ebene miteinbeziehen.

Die erste Liste der gewählten Gemeinderäte in Hendschiken datiert aus dem Jahre 1906, doch fehlen in dieser jegliche Angaben zur Parteizugehörigkeit der Gewählten (... diese wird übrigens bis heute nicht festgehalten!).
Dann stellte sich für mich auch die Frage ob der 1906 gewählte Viceammann Johann Zobrist-Meier (Jahrgang 1846) wohl mit dem SP-Mitglied Hans Zobrist (Beruf: Maurer) oder allenfalls mit dem anderen Hans Zobrist (Beruf: Zimmermann) identisch sei?

Den ersten „sicheren“ SP-Gemeinderat und zugleich auch Gemeindeammann finden wir 1918 mit Wilhelm Zobrist-Zobrist (Jahrgang 1880 und von Beruf Steinhauer).
Zwei weitere SP-Mitglieder wurden damals für die Amtsperiode 1918-1921 in den Gemeinderat gewählt, nämlich Jakob Meier (Jahrgang 1878 und von Beruf Schreiner) sowie Friedrich Zobrist (Jahrgang 1875 und von Beruf Schneidermeister).
In den folgenden Jahren war die SP immer mit mindestens zwei Mitgliedern im Gemeinderat vertreten.

Der bereits mehrmals erwähnte Wilhelm Zobrist war mit Sicherheit einer der Gründerväter der SP Hendschiken, Gemeindeammann, Mitarbeiter der Zeitung „Freier Aargauer“, Bezirksrichter (1920-27) und ab dem Jahre 1920 auch erster Grossrat der SP Hendschiken. Sein früher Tod (1927) setzte seinem beeindruckenden politischen Engagement ein abruptes Ende.
1921 findet sich unter den SP-Grossräten ein weiterer Hendschiker, nämlich Ernst Friedrich Zobrist (Schuhfabrikarbeiter und Krankenkassenkassier). Zu seinen Nachfolgern im Grossen Rat gehörten dann 1933 Hermann Ochsner, 1951 Richard Lüthy und schliesslich 1977 Albert Amsler.
Alle oben erwähnten Grossräte waren bereits vor ihrer Wahl ins Kantonsparlament auf kommunaler Ebene politisch in Erscheinung getreten und zwar entweder als Gemeindeammann oder als Gemeinderat.

Dieser kurze Abriss verdeutlicht, dass sich die SP Hendschiken bereits kurz nach ihrer Gründung aktiv an der Dorf- und Kantonspolitik beteiligt und in ihren Reihen immer wieder ausgewiesene Mitglieder gefunden hat, die in Exekutivämter gewählt und später auch wieder bestätigt worden sind.

Wo lagen die politischen Interessen der Vertreter der SP? Wie haben sie bei wichtigen Sachgeschäften abgestimmt? Welchen Einfluss hatte ihre Arbeit auf die Entwicklungen im Dorf? Welches waren umstrittene Themen und wie wurden Konflikte mit politischen Gegnern ausgefochten?
Dies und vieles mehr müsste in einer aufwändigeren Studie an Hand von Grossrats-, Gemeinderats- und Kommissionssitzungsprotokollen genauer untersucht werden.

Sabina Vögtli-Fischer

Quellen:
- Beamtenkontrolle ab 1906 (Gemeindekanzlei Hendschiken)
- Kassen- und Beitragskontrollbuch der SP Hendschiken, 1908-
(SP-Archiv, Hendschiken)
- Sitzungsprotokolle der SP Hendschiken, 1954
(SP-Archiv, Hendschiken)


Literatur:
- 150 Jahre Kanton Aargau im Lichte der Zahlen (1803-1853), hrsg. Regierungsrat des Kantons Aargau, Aarau 1954
- Geschichte des Aargaus. Illustrierter Überblick von der Urzeit bis zur Gegenwart, hrsg. Christophe Seiler, Andreas Steigmeier, Aarau 1991
- Wicki Dieter, Der aargauische Grosse Rat 1803-2003. Wandel eines Kantonsparlamentes – eine Kollektivbiografie, 2006

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